Gedanken zum Wahlergebnis

Bemerkenswert ist die hohe Wahlbeteiligung, die bei knapp 65 Prozent liegt, die höchste seit der deutschen Wiedervereinigung. Je höher die Wahlbeteiligung desto höher die Legitimation des Wahlergebnisses – ob das uns passt oder nicht.

Die Erosion der Mitte wurde nicht gestoppt, für Gesamtdeutschland aber zumindest abgebremst. Regional, also in den ostdeutschen Bundesländern vor allem, nimmt der Trend zu den Rändern, insbesondere nach rechts, mehr als Besorgnis erregende Ausmaße an. Zu diesen Rändern rechts gehört aus meiner Sicht auch das Bündnis Sahara.

Der Trend der jüngeren nach rechts ist kein deutsches Phänomen, auch in Italien, Frankreich oder der Niederlande sieht es ähnlich aus.

Der Zulauf zur AfD insbesondere bei den jüngeren Wählern bereitet dabei besonderes Kopfzerbrechen. Wirklich überraschend ist das vor dem Hintergrund von Umfragen allerdings nicht, der Trend wurde bereits im April prognostiziert, die entsprechende Studie jedoch nur halb ernst genommen, weil ihr methodische Schwächen unterstellt wurden.

Offensichtlich handelt es sich dabei überwiegend nicht um Proteststimmen gegen die Bundesregierung, sondern um eine bewusste Entscheidung zugunsten der AfD. Das auf die Nutzung der asozialen Medien wie TikTok zu reduzieren, dürfte zu kurz greifen. Offenbar fühlen sich gerade die Jungen mit ihren Sorgen nicht ernst genommen. Denen geht es weniger um Klimaschutz sondern um Fragen wie Flüchtlingen, Altersarmut, Inflation oder Wohnungsnot und nicht zuletzt um Kriegsängste. Auf alle diese Fragen liefern die Rechten einfache Antworten.

Eine spannende Frage dürfte sein, wie eng die Bindung der Wähler an die AfD ist. Je geringer diese Bindung ist, desto größer die Chancen, wenigstens ein paar von denen wieder für die Demokratie zu gewinnen. Es gibt gewisse Indizien (etwa das Verhältnis von Brief- zu Urnenwahl), die teilweise und zumindest für einen kleinen Teil für eine eher noch schwächere Bindung sprechen. Hier fehlen mir aber wirklich belastbare Hinweise.

Gleichzeitig bietet die Ampel ein mehr oder weniger abschreckendes Bild. Die Reformen der selbsternannten Reformregierung sind irgendwo zwischen Heizungsgesetz und Krieg in der Ukraine verloren gegangen. Der seit Monaten schwelende Streit um den Haushalt 2025 oder die Schuldenbremse ist bestenfalls nur noch abschreckend. Wo verbreiten die Ampel oder die einzelnen Ampelparteien den notwendigen Optimismus oder ermutigende Botschaften, um die Menschen, eben gerade auch die Jungen mitzunehmen? Übrigens ist das Auftreten der Union über weite Strecken genauso negativ. Auch da kann man nicht erkennen, dass die Sorgen ernst genommen werden.

Insofern sind Forderungen aus Kreisen der Union nach Neuwahlen nicht wirklich geeignet, um rechte Wähler, besonders Jugendliche zurückzugewinnen. Es gibt gerade ein Momentum für die Rechten, das eigentliche Desaster könnte dann bei den Landtagswahlen im Osten folgen. Im schlechtesten Fall bräuchten sich die Ampelparteien – zynisch ausgedrückt – nicht mehr mit irgendwelchen Brandmauern beschäftigen, weil sie nicht mehr in den Landtagen vertreten sind!

Mit einem „weiter so“ wird es also auch nicht gehen. Welche Alternative gäbe es zu Neuwahlen? Wie könnte ein Befreiungsschlag der demokratischen Parteien aussehen? Könnte eine „Agenda 25“ noch rechtzeitig auf den Weg gebracht werden und wie würde die aussehen? Gemeinsam mit der Union wohlgemerkt. Kurze und klare Ansagen für die Lösung der anstehenden Probleme, weniger Phrasen und mehr Taten.

Und gleichzeitig braucht es einen langen Atem um die Jugend zurückzugewinnen, dies unter dem Dauerbeschuss von rechts. Wenn es blöd läuft, dann verlieren wir diese Auseinandersetzung.

Abschließend zu den Grünen. Die erdrutschartigen Verluste im Vergleich zur Europawahl 2019 (knapp neun Prozentpunkte weniger) entsprechen im Wesentlichen den Prognosen, auch wenn die eine oder der andere optimistischer war. Insofern könnte es zielführender sein, sich genauer mit den Differenzen zur Bundestagswahl 2021 zu beschäftigen, umso mehr, weil eine breite Kritik an der Ampelregierung (und damit auch den Grünen) Europathemen eher überlagert hat. Jetzt könnte man es sich einfach machen und feststellen, dass sich die Grünen in diesem Vergleich noch halbwegs gut gehalten haben (Verluste so gut 20 Prozent) während sich SPD und FDP im entsprechenden Vergleich praktisch halbiert haben. Hilft aber wahrscheinlich nicht weiter.

Offensichtlich ist die Grüne Kernkompetenz in Sachen Klima- und Umweltschutz nicht mehr ganz vorne auf der Agenda der Sorgen und Nöte der Bevölkerung, insbesondere der schon mehrfach erwähnten jungen Wähler. Weder bei Migration oder Wirtschaftspolitik oder einer Rentensicherung wird den Grünen allzu viel zugetraut. Es ist nicht gelungen, deutlich zu machen, dass mehr Klimaschutz beispielsweise auch wirtschaftlichen Aufschwung bringt. Dazu haben auch handwerkliche Fehler beigetragen. Zu viele, die zu viel reden!

Ich kann es mir an der Stelle nicht verkneifen, das Fazit einer ersten Grünen Analyse (aus dem Bund) wörtlich zu zitieren:
„Die ersten Zahlen ergeben eine komplexe Lage:
• Der Druck auf die Grünen verläuft entlang mehrerer Linien: im progressiven Milieu, in der moderaten Mitte und bei den Jungwähler*innen
• Gerade im Hinblick auf das Mobilisieren der den Grünen nahestehenden Wähler*innen, genauso wie auf die Frage wie es gelingen kann das Potenzial wieder zu erweitern, müssen Antworten gefunden werden. Dabei sollten alle Aspekte umfassend in den Blick genommen werden.“
Ob das weiterhilft? Da kann sich jeder und jede selbst seinen Reim drauf machen.

Aschaffenburg, 11. Juni 2024

Wolfgang

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