Liebe Freundinnen und Freude, liebe Interessierte,
nach jahrelanger harter Arbeit ist uns heute im Europaparlament ein großer Erfolg für mehr Transparenz im Lobbyismus gelungen: Zum ersten Mal hat das Parlament verbindliche Regeln für Lobbytransparenz beschlossen. An neuen Parlamentsbeschlüssen mitwirkende Europaabgeordnete müssen ihre Treffen mit Lobbyisten öffentlich auflisten (Legislativer Fußabdruck). Die Entscheidung des Europaparlaments im Rahmen einer Reform seiner Geschäftsordnung fiel in einer hart umkämpften und knappen Abstimmung mit 380 ja zu 224 nein bei 26 Enthaltungen. Das waren nur 4 Stimmen mehr als die benötigten 376 Stimmen. Die Christdemokraten hatten zur Lobbytransparenz auf der ersten geheimen Abstimmung über eine Sachfrage seit vielen Jahren bestanden. Der heutige Beschluss für mehr Lobbytransparenz basiert auf einem Grünen Änderungsantrag und dem 2017 vom Europaparlament beschlossenen Bericht über Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen, den ich entworfen hatte. Tausende Bürgerinnen und Bürger hatten sich an Ideensammlungen und Petitionen zur Überwindung von Blockaden beteiligt. Ein besonderer Dank geht an die Nichtregierungsorganisationen Transparency International, Lobbycontrol, das Netzwerk ALTER EU, WeMove.eu, Corporate Europe Observatory, Democracy International, change.org, Friends of the Earth und Access Info sowie die mehreren hunderttausend Bürgerinnen und Bürger, die Petitionen unterstützt und E-Mails geschrieben haben. Ohne ihre jahrelange Arbeit wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen!
Mehr Transparenz im Lobbyismus stärkt das Vertrauen in das Europaparlament. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen in Zukunft Klarheit über den Lobbyeinfluss auf Gesetze. Durch den sogenannten “Legislativen Fußabdruck” erfahren sie schon bei der Entstehung eines Gesetzes, welche Lobbyisten darauf Einfluss nehmen. Das bedeutet, sobald der Beschluss umgesetzt ist, praktisch Transparenz in Echtzeit. Der Einfluss mächtiger Interessen auf EU-Gesetze lässt sich in Zukunft besser einhegen. Das bisher freiwillige Transparenzregister erlaubt nur einen groben Überblick über die rund 12.000 Lobby-Organisationen in Brüssel. Der verpflichtende Legislative Fußabdruck des Parlaments erlaubt zusammen mit den verpflichtenden Lobbyregeln für die EU-Kommission ein viel höheres Maß an Transparenz. Die neuen Regeln stärken die Europäische Demokratie in vielfacher Hinsicht: Künftig wird transparent, ob Abgeordnete viel zu viel einseitigen und finanzstarken Interessen zuhören. Vier Jahre lang habe ich auf diesen Erfolg hingearbeitet. Viele Anfeindungen musste ich mir im Parlament anhören. All das hat sich gelohnt! Das gelang nur, weil die Grüne Fraktion einig und geschlossen vorgegangen ist. Besonderen Anteil hatte mein schwedischer Abgeordnetenkollege Max Andersson, unser französischer Kollege Pascal Durand, der ungarische grüne Kollege Benedek Javor sowie unsere Mitarbeiter*innen Christian Beck (Deutschland), Melanie Vogel (Frankreich) und Pamela Bartlett Quintanilla (Spanien). Auch dieses grüne Teamwork ist Europa!
Die mutige Entscheidung des Europaparlaments macht den Weg frei für ein stärkeres Transparenzregister für Lobbyisten. Das Parlament setzt jetzt die EU-Kommission unter Druck, ihre Lobbytransparenz ebenso auszubauen. Löblicherweise hat die Kommission bereits Kommissare, ihre Kabinette und die Generaldirektoren auch auf grünen Druck hin dazu verpflichtet, nur registrierte Lobbyisten zu treffen. Jetzt wird es Zeit, dass alle an EU-Gesetzen beteiligten Kommissionsmitarbeiter*innen entsprechenden Transparenzregeln folgen. Das leuchtende Beispiel des Parlaments wirft ein Schlaglicht auf das bisherige Versagen des Rates der Mitgliedstaaten. Die bisher vom Rat angebotene homöopathische Transparenz ist angesichts des heutigen Fortschritts nicht zu halten. Bisher bieten 20 von 28 Regierungen an, dass die Leitung ihrer Vertretungen bei der EU auf Treffen mit unregistrierten Lobbyisten im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft verzichten wollen. Das ist deutlich zu wenig für wirkliche Lobbytransparenz bei der täglichen Gesetzgebungsarbeit. Der Rat muss endlich ebenso Lobbytransparenz für alle an der EU-Gesetzgebung beteiligten Mitarbeiter der Vertretungen der Regierungen einführen.
Die Einigung für ein stärkeres EU-Transparenzregister für Lobbyisten müssen Kommission und Rat mit dem Parlament noch vor der Europawahl finden. Denn: Transparenz nimmt den Attacken von Populisten auf die EU den Wind aus den Segeln. Wenn neben dem Parlament, auch die Kommission ihre Führungsposition bei der Transparenz in Europa zurückerobert, laufen etliche Angriffe der Populisten ins Leere. Die EU-Kommission, allen voran Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans, haben sich früh hinter die grünen Änderungsanträge gestellt und ebenfalls zum heutigen Erfolg beigetragen. Frans Timmermans sollte mit einem neuen Angebot der EU-Kommission für eigenen Fortschritt die Einigung möglich machen. Letztlich unterstützten die Sozialdemokrat*innen im Europaparlament nach langem Schwanken auch die verbindliche Lobbytransparenz. Manfred Weber wird sich im Europawahlkampf fragen lassen müssen, warum er die transparenzpolitische Geisterfahrt seiner Fraktion nicht aufgehalten hat. Die Christdemokraten sollten heute verspieltes Vertrauen dadurch zurückgewinnen, dass sie den Legislativen Fußabdruck so bürgerfreundlich wie möglich umsetzen helfen. Sie sollten ihre Macht im Parlamentspräsidium endlich für Transparenz statt Blockade einsetzen.
Fast parallel zu der Entscheidung des Europaparlaments hat der Landtag Thüringens beschlossen, den Legislativen Fußabdruck als erstes in Deutschland einzuführen. Das ist ein großer Erfolg der Grünen in Thüringen. Von Brüssel und Thüringen geht damit auch ein Signal an die Bundespolitik aus: Der Bundestag sollte sich auch zu mehr Lobbytransparenz bekennen. Das Europaparlament ist dem Bundestag in diesem Bereich mittlerweile mehrere Schritte voraus. Auf Bundesebene geht unser Kampf für mehr Transparenz im Lobbyismus also mit aller Kraft weiter!
Für mich persönlich war das einer der größten Erfolge in den letzten neun Jahren im Europaparlament. Das zeigt: Auch gegen harten Widerstand mächtiger Interessen kann man mit Hilfe der Demokratie und durch eine Allianz zwischen kritischer Zivilgesellschaft und progressiven Politiker*innen gewinnen! Europa kann demokratischer und transparenter werden als viele Mitgliedsländer es je waren. Ich werde dranbleiben: Gemeinsam können wir der Übermacht des großen Geldes im Prozess der Globalisierung Grenzen setzen. Europa ist dabei ein Teil der Lösung!
Mit europäischen grünen Grüßen
Euer und Ihr Sven Giegold